Tilda Swinton spielt eine Frau, die alles besitzt, und der doch etwas Entscheidendes fehlt: Die Leidenschaft in ihrem Leben. Mit Präzision in jeder Hinsicht, sei es auf inhaltlicher, bildlicher oder akustischer Ebene, kann eigentlich nichts schiefgehen.
Solange man sich nicht in der Liebe zum Detail verliert.
Emma Recchi (Tilda Swinton) hat alles, was man sich wünschen kann. Eingeheiratet in eine Familie, die ein erfolgreiches Textilunternehmen besitzt, führt sie ein sorgenfreies Leben in der Villa ihres Mannes Tancredi (Pippo Delbono), hat drei erwachsene Kinder und muss sich um nichts anderes als perfekt arrangierte Dinnerpartys kümmern. Auch anlässlich des Geburtstags von Emmas Schwiegervater Edoardo Recchi Sr. (Gabriele Ferzetti), sorgt sie für eine makellose Feier im familiären Rahmen. Während dem Festessen verkündet Edoardo, dass er sich aus dem Familiengeschäft zurückziehen wird und sich entschlossen hat, seine leitende Funktion zu gleichen Teilen auf einen Sohn Tancredi und seinen Enkel Edoardo Jr. (Flavio Parenti) zu übertragen.
Unternehmerische Veränderungen, die mit dieser Entscheidung einhergehen, sind vorprogrammiert. Doch nicht nur das Leben der männliches Recchis nimmt eine Wendung, auch die Tochter des Hauses, Elisabetta (Alba Rohrwacher), hat einen neuen Entschluss gefasst. Sie geht nach London, um zu studieren und dort, weit entfernt von den auferlegten familiären Verhaltensweisen und Strukturen, ihr Leben ihren Wünschen gemäß gestalten zu können.
Während die Menschen um sie herum sich neu orientieren, erwacht auch in Emma eine für lange Zeit nicht dagewesene Leidenschaft. Durch ihren Sohn Edoardo lernt sie den jungen Koch Antonio Biscaglia (Edoardo Gabbriellini) kennen. Zuerst ist sie nur fasziniert von seinen Kochkünsten, doch bald schon entwickelt sich mehr zwischen den beiden.
Viel Zeit
Fast bis zur Hälfte des Films passiert kaum etwas Aufregendes. Der Regisseur nimmt sich viel Zeit, um die Familie, ihren Reichtum und ihren Lebensstil auszuleuchten. Bis ins kleinste Detail verfolgt man die Vorbereitungen zum wichtigen Dinner, an dem der Geburtstag des Oberhaupts der Familie gefeiert und er seine weitreichende Entscheidung verkünden wird.
Auch als dieser erste Umschwung passiert ist, steuert 'I Am Love' nur in kleinen Schritten auf den eigentlichen Kern der Handlung, Emmas Affaire mit Antonio, zu. Ab diesem Zeitpunkt jedoch blüht nicht nur die eingangs nahezu stoisch wirkende Frau auf, auch der Film erwacht zu neuem Leben. Weit entfernt vom prunkvollen Anwesen der Recchis, in Antonios abgelegen Häuschen mitten im Grünen, erfährt nicht nur Emma, sondern auch der Zuschauer Wärme und Leidenschaft.
Ist diese Leidenschaft erst einmal erwacht, ist es umso verständlicher, dass es auf lange Sicht gesehen für Emma keinen anderen Weg mehr gibt, als ihr zu folgen. Doch bald schon beginnen sich die Ereignisse zu überschlagen. Endlich kommt Schwung ins Geschehen, Dinge passieren, mit denen man nicht gerechnet hat, und es kommt zu einem finalen Höhepunkt, der, unterstützt von mitreißender Musik, in Aufregung versetzt. Es ist allerdings fraglich, ob dieser Schlusspunkt den langatmigen Beginn wettmachen kann.
Künstlerische Sorgfalt
Sowohl auf inhaltlicher als auch auf bildlicher Ebene zeichnet sich der Film durch künstlerische Sorgfalt aus. Totalen am Beginn, die das städtische industrielle Leben einleiten, Großaufnahmen, die das mächtige Anwesen der Recchis hervorheben, und Nahaufnahmen, die die Abläufe der Dinnervorbereitung dokumentieren, verdeutlichen die Stimmung und Struktur, die das Leben der Familie beherrscht. Von durchwegs solider schauspielerischer Leistung aller Beteiligten gezeichnet und mit klassischer Musik untermalt, schafft 'I Am Love' eine oft anmutige Atmosphäre.
Auch, wenn dieser Film vieles richtig macht, und vor allem eine bemerkenswerte Liebesszene inszeniert, die aufgrund ihrer ehrlichen und natürlichen Schönheit bezaubert, gelingt es ihm nicht, in jeder Hinsicht zufrieden zu stellen. Etwas zu lange lässt er einen auf Momente wie diesen warten und zögert die Spannung hinaus, bis manch einer wahrscheinlich schon das Interesse verloren hat. So ist aus der siebenjährigen Zusammenarbeit von Regisseur Luca Guadagnino und Tilda Swinton zwar ein ansehnliches Werk entstanden, allerdings kein massenwirksamer Film – Schade eigentlich.
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