Realitätsnah und überzeugend ist diese Geschichte über ein Mädchen, das mit ihr unbekannten Gefühlen konfrontiert wird, als sich der neue Freund ihrer Mutter als fürsorglicher und interessierter Zeitgenosse entpuppt.
Die harte Fassade, mit der sich der Teenager an sein rauhes Umfeld angepasst hat, beginnt zu bröckeln und bringt die Verletzlichkeit dahinter zum Vorschein.
Mia (Katie Jarvis) lebt mit ihrer Mutter Joanne (Kierston Wareing) und ihrer kleinen Schwester Tyler (Rebecca Griffith) in Essex, östlich von London, in einer Sozialwohnung. Anstatt die Schule zu besuchen, zieht der Teenager lieber durch die Straßen, trinkt, pöbelt die Mädchen in ihrer Siedlung an, schreckt dabei nicht davor zurück, handgreiflich zu werden, und streitet sich zu Hause mit ihrer Mutter und ihrer Schwester. Das Einzige, was Mia Freude bereitet, ist das Tanzen. In einer verlassenen Wohnung hat sie Zuflucht gefunden, um ihrer Leidenschaft Ausdruck zu verleihen und für einen Moment lang die Welt um sich herum zu vergessen.
Als sich Mia eines Morgens in der Küche aufhält, steht plötzlich ein halbnackter Mann neben ihr. Connor (Michael Fassbender) ist der neue Freund ihrer Mutter, doch im Gegensatz zu all den anderen, die vor ihm dagewesen waren, scheint er sich tatsächlich auch für deren Kinder zu interessieren. Nicht nur, dass er alle zu einem gemeinsamen Ausflug überredet, vor allem gibt er Mia das nötige Selbstvertrauen, um ihr tänzerisches Können in einem Bewerbungsvideo unter Beweis zu stellen. Doch bald schon ist nicht mehr ganz klar, ob Mia in Connor nur eine Vaterfigur, einen Freund oder doch mehr sieht.
Grauzone
Mias Geschichte könnte an jedem Stadtrand Europas spielen, in jeder Gegend, die nicht viel Freundliches und Hoffnungsvolles zu bieten hat. Die soziale Schicht, in der Mia lebt, findet man überall, und die Misere, in der sich vor allem die Kinder dieser Schicht befinden, ist universell. Es benötigt kein hohes Maß an Empathie, um zu verstehen, warum Mia so ist wie sie ist.
Offensichtlich war Mia nicht das Wunschkind ihrer Mutter. Joanne war einfach nur viel zu früh schwanger geworden. Deswegen feiert sie auch nach wie vor lieber Partys, anstatt sich um ihre Kinder zu kümmern. Besonders die bockige Mia, die, nach Joannes Aussage, schon immer ein anstrengendes Kind war, macht ihr zu schaffen. Es scheint sie nicht groß zu interessieren, wo sich ihre Tochter aufhält, solange sie ihr zu Hause nicht auf die Nerven geht.
Das Desinteresse der Mutter, die Trostlosigkeit ihrer Umgebung, und das Leben, das nicht viele Möglichkeiten bereit hält, um aus ihrem Umfeld auszubrechen, machen die Gleichgültigkeit und die Frustation, die den Alltag des Teenagers bestimmt, nachvollziehbar, ohne dass es vieler Erklärungen bedarf. Statt Ursachenforschung zu betreiben, lässt sich die Regisseurin Andrea Arnold auf diese Welt ein, malt ihre Figuren nicht in schwarz-weiß, sondern arbeitet gezielt Grautöne heraus. So gelingt es, das Abbild einer Realität zu zeichnen, das sich nicht in platten Klischees verliert.
Authentizität
Andrea Arnold legte wert darauf, so viele Nicht-Schauspieler wie möglich zu casten, um die Künstlichkeit ihrer Figuren zu reduzieren. Vor allem ihre Hauptdarstellerin sollte ein Mädchen sein, das nicht spielen, sondern nur sie selbst sein musste – und die fand sie in Katie Jarvis, die sie buchstäblich vom Bahnhof weg castete. Tatsächlich verleiht ihre Wahl dem Film eine bestechende Authentizität, die vor allem im harmonischen Zusammenspiel mit Michael Fassbender für emotionale Spannung sorgt.
Bilder zum Film
1/8
'Fish Tank' handelt nicht von gut und böse oder Opfer und Täter, sondern erzählt von der Möglichkeit, beides zu sein, ohne es bewusst zu wollen. Der Ausflug in familiäre Geborgenheit und die Aussicht auf Veränderung sind nur von kurzer Dauer. Die widersprüchlichen Gefühle, die Mia für den neuen Freund ihrer Mutter hegt, sind von Beginn an spürbar, und schon bald wird klar, dass es sich dabei nicht um einseitige 'Schwärmerei' handelt. Doch auch Connor hat ein Geheimnis und all die neu gewonnene Hoffnung des Teenagers wird mit einem Schlag zunichte gemacht, als Mia die Wahrheit erfährt. Es wird also alles noch einmal schlimmer, bevor Mia erkennen muss, dass die einzige Chance, aus ihrem Leben auszubrechen, darin besteht, es auch tatsächlich zu tun.
Von Kritikern hoch gelobt und mit einigen Preisen ausgezeichnet, entwirft der Film ein lebensnahes Portrait einer problembelasteten Gesellschaftsschicht, in dem sich trotz geringer Chancen auf Veränderung doch ein leiser Hoffnungsschimmer regt.