Review 29.09.2010 (Archiv)
'Jud Süss - Film ohne Gewissen' Filmkritik
Ein Stück Zeitgeschichte über den Hauptdarsteller des zuerst groß gefeierten und nach Scheitern der NS-Diktatur verbotenen gleichnamigen Propagandafilms.Seiten: [1] [2]
Erinnerungen und neue Denkanstöße
Kameraeinstellungen, die an die Arbeiten großer deutscher Regisseure wie Fritz Lang oder Friedrich Wilhelm Murnau erinnern, teilweise schräge Aufnahmewinkel und ein Spiel mit Licht und Schatten, das Filmen des deutschen Expressionismus ähnelt, prägen die optische Umsetzung, die 'Jud Süß' kennzeichnet. Diese Elemente gleichen einer Hommage an große deutsche Filmkunst vergangener Zeit, einer Zeit, bevor viele der kreativen Köpfe und Künstler ihr Land verließen, um den Veränderungen und Gefahren des herrschenden Systems zu entfliehen. Das Auftreten Marians in seinem knielangen Trenchcoat lässt ihn als eine Art hard-boiled Hero des Film noirs erscheinen. Konnotationen mit dieser Stilrichtung, die in 1940er und 1950er Jahren ihre Blütezeit in Amerika hatte, inspiriert unter anderem durch den expressionistischen Film und auch gefestigt durch die emigrierten deutschen Künstler, drängen sich auf.
Abgesehen von seiner Thematik, der es diesmal gelingt, neue Fragen aufzuwerfen und über eine andere Art des Zugangs dem Zuschauer die Möglichkeit gibt, sein Gedankenspektrum diese Zeit betreffend zu erweiteren, zeichnet sich 'Jud Süß' durch seine beiden Hauptakteure, Tobias Moretti und Moritz Bleibtreu aus. Leichtlebiger Frauenheld trifft auf manipulativen Strategen. Während Tobias Moretti aufgrund seiner außerordentlich eindrucksvollen Darstellung Emotionalität generiert, fasziniert Moritz Bleibtreu vor allem durch expressive Gestik und Mimik.
Zoom mit Klick © Thimfilm & Concorde Film 2010 / Petro Domenigg
Ein leicht hinkendes Bein und ein nach innen gedrehter Fuß ist nur ein Detail, um dem mächtigen Goebbels eine lächerlich anmutende Schwäche zu verleihen. Wildes Zucken mit seiner Hand, wenn er im Begriff ist, seiner Überzeugung den nötigen Gestus verleihen, gepaart mit charmanten Gesichtszügen und einem höchst manipulativem Charakter machen den Propagandaminister zu einer ambivalenten Figur, die aufgrund Moritz Bleibtreus Darstellung mal verführt und mal Abscheu erregt. Genauso, wenn auch in abgeschwächter Form, verhält es sich mit der Figur des Ferdinand Marian. Nicht nur die symptahischen Züge, die Mitleid und Verständnis hervorrufen, stellt Tobias Moretti glaubhaft aus, auch seine moralische Verwerflichkeit, nicht nur in Bezug auf seine Entscheidung, sondern auch seinen Lebensstil betreffend, kommen gut zur Geltung.
Offizielle Webseite
'Jud Süß' erzählt ein Stück Filmgeschichte. Untermauert durch Neu-Inzenierung alten Materials und fokussiert auf die reale Geschichte eines Schauspielers erweitert der Film die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit um eine Perspektive, bleibt zeitweise auf Distanz, um danach tiefer einzudringen. So gelingt es, ein umfassendes Bild zu erzeugen, Einblicke auf mehreren Ebenen zu ermöglichen und gleichzeitig Spielräume für neue, noch nicht gedachte Zugänge herzustellen.
Kinostart Österreich: 24. September 2010
Alexandra Cech / filmtauchgaenge.de | www |
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